Stellvertreter-Diskussionen
[dropcap color=““ boxed=“no“ boxed_radius=“8px“ class=““ id=““]W[/dropcap]enn ich etwas verabscheue, dann ist es die Angewohnheit Dinge aus den falschen Gründen abzulehnen oder Statistiken absurd zu interpretieren. Am häufigsten passiert mir das in letzter Zeit mit Aussagen wie: „Streaming ist nix für mich, weil Musiker da wenig verdienen“. Oder „Ich liebe Schallplatten, weil sie besser klingen“. Ganz zu schweigen von: Die LP erlebt einen unglaublichen Aufschwung und ist ein wesentlicher Teil des Musikbusiness.
Dabei werden Äpfel mit Birnen verwechselt, und die Sache wo Dinge wirklich faul sind oder schief laufen völlig falsch zugeordnet. Ich darf deshalb versuchen für Interessierte die einzelnen Themen etwas zu ordnen, um nicht ununterbrochen Leute flamen zu müssen wie hier oder hier.
Musik zu Hause oder unterwegs hören besteht aus mehreren Stufen ( Live Konzerte lassen wir hier einmal beiseite, obwohl sie das wichtigste sind). Die Quelle samt ihrer Lokalität, der Weg zur Wiedergabekette ( aka HiFi-Anlage, die auch einfach ein Smartphone sein kann) und die Wiedergabeeinrichtung selber.
Vinyl, CD, Download oder Streaming
[dropcap color=““ boxed=“no“ boxed_radius=“8px“ class=““ id=““]U[/dropcap]nd der Speicher per se ist einmal weder gut noch böse. Er hat gewisse Limits, im Fall von Vinyl zB. ist die Wiedergabe besonders tiefer Frequenzen mit großer Lautstärke eher problematisch, auch der Trennung der Kanäle ist durch das mechanische Abtasten einer Plastikrille mit zwei um 90 Grad versetzten Flanken nicht gerade perfekt. Und höhere Frequenzen als etwas über 20 kHz können auch kaum „abgetastet“ und somit angeboten werden.
Also nix mit High Resolution. Ansonsten aber kann aus der LP ein wunderbares Klang-Ergebnis erzielt werden. Solange die Aufnahme gut war, die Abmischung Mediengerecht ( also die Eigenheiten der mechanischen Abtastung berücksichtigt wurden) und natürlich überhaupt die Musik gut, authentisch und nicht den Teil zwischen den Ohren beleidigend. Aufnahmen zB. aus den 50er Jahren im Repertoire Jazz oder Klassik klingen deshalb oft so gut weil Ausnahmekünstler nicht nur an den Instrumenten sondern auch den Mischpulten und beim Aufstellen der Mikrofone tätig waren und nicht weil man sie aus der Rille kratzen muss.
[dropcap color=““ boxed=“no“ boxed_radius=“8px“ class=““ id=““]B[/dropcap]ei CDs müssen wir mit der optischen Abtastung winziger Erhebungen auf einer Metallschicht auskommen, die noch dazu durch mehr als 1 mm dickes Kunststoffteil gelesen werden muss. Laut Vereinbarung ist der Frequenzgang mit maximal 20 kHz nach oben begrenzt und die nötige abrupte Begrenzung oberhalb von 20 kHz stellt große Anforderungen an auslesende Filter. Dh. bei Auslesen von CDs mittels Digital-Analogwandler gibts ähnlich große Unterschiede wie bei guten und schlechten Verstärkern, und auch ein DA Wandler hat ausgangsseitig einen Analogteil, kann also scharf, hart und unmusikalisch klingen obwohl vielleicht der Digitalprozess einwandfrei bewerkstelligt wurde. Jedoch auch CDs sind in der Lage exorbitant gut zu klingen, bei Nachdenken über meine grandiosesten Klangerlebnisse bin ich drauf gekommen, dass Magico Q7 bei einem Händler in München, Magico Ultimate II auf der Highend Messe und auch Devialet/B&W ebendort mit schlichten Plastikscheiben gefüttert wurden. Allerdings aufbereitet zum Gegenwert eines mittleren Einfamilienhauses. Dass CD Player heute mit sensationell günstigen externen DA Wandlern zu Höchstleistungen fähig sind ohne mehr als ein paar hundert Euro auszugeben, während man früher viele Tausender auf den Tisch blättern musste dafür ist Faktum, und hilft seine Sammlung neu zu geniessen oder gleich zu rippen, also in den Computer zu speichern. Womit wir bei Möglichkeit Nr. 3 wären.
Musik-Downloads, also die Files sind nicht auf der CD gespeichert oder von CD gerippt, sondern können gekauft werden, im iTunes Store, bei Amazon oder sogar bei einem der HighResolution Anbieter wie Qobuz oder HighResAudio. Von dort kann man Musik nicht nur in CD Qualität ( 16 Bit/44kHz) holen sondern bis zu 356 kHz Abtastfrequenz und 32 Bit Genauigkeit. Der gekaufte File wird also einmal vom Server auf den eigenen Computer geladen und ist damit in meinem Besitz, kann in anderes Format gewandelt werden und ziemlich beliebig auch auf mehrere andere Computer mitgenommen.
[dropcap color=““ boxed=“no“ boxed_radius=“8px“ class=““ id=““]V[/dropcap]ierte heute gängige Art Musik abzuholen nach LP, CD und Download ist Streaming. Dabei liegt der digitale File nicht notwendigerweise eingebrannt auf der CD zu Hause sondern zB. am Server von Spotify, Tidal oder Apple Music. In diversen Qualitätsstufen, von kaum akzeptabel bei Spotify „normal“ über AAC 256 bei Apple Music bis zu unfassbar wunderschön in MQA Masters Qualität über HiFi Tidal. Der Stream muss also die Daten über „das Internet“ nach Hause transportieren und dort wird alles in Echtzeit ausgepackt ( oder zwischengespeichert um die Wiedergabequalität zu erhöhen) und in der HiFi Anlage in das Wunder Musik verwandelt. Streaming per se hat also diverse Qualitätsstufen, ganz wie LP oder Download und (in viel kleinerem Maße) auch CD.
Die andere Seite der Medaille
[dropcap color=““ boxed=“no“ boxed_radius=“8px“ class=““ id=““]W[/dropcap]ieviel Musiker bezahlt bekommen für eine LP, eine CD, Download oder eine Wiedergabe eines Streams ist eine völlig andere Geschichte, die mit Speicherart und dem Speicherort erst einmal so gut wie gar nichts zu tun hat. Bei LPs kommen Kosten fürs Aufnehmen , für die Erstellung der Presswerkzeuge/Matrizen , Cover, Booklet etc. zusammen, des weiteren der Transport in die Geschäfte und Margen für die Händler, die ja ein Lokal bezahlen müssen monatlich, Angestellte brauchen, Plattenspieler zum vorspielen etc. Ähnlich bei CD wobei die Kosten der Erstellung ein paar Jahre nach der Erfindung dramatisch gesunken sind und heute (fast) vernachlässigbar. Download kennt kaum Kosten für die Verbreitung, sieht man vom Marketing und Gestaltung des Webportales einmal ab.
Bei Streaming fallen die nicht unerheblichen Kosten für eine performante Serverfarm ins Gewicht, werden aber durch die Menge der Abrufe wiederum in viele sehr kleine Kostenanteile zerlegt. Bei ca 30 – 50 Millionen Titeln und einem Vielfachen an Nutzern werden auch diese Kosten eher gering pro Anwendungsfall.
Wer kriegt nun wieviel vom Kuchen?
[dropcap color=““ boxed=“no“ boxed_radius=“8px“ class=““ id=““]H[/dropcap]ier wird’s kritisch aus vielen Gründen. Musikplattformen wie Spotify, Tidal oder Apple haben zu Beginn ein großzügig scheinendes Angebot von 70 % für den Musikanbieter ( Musiker im Eigenverlag, Distributor, Verlag, Rechteinhaber oder ähnliches) und „nur“ 30 % für den Platformbetreiber. Warum von den 70 % so gut wie gar nichts beim wirklichen Musikschaffenden übrig bleibt hat viele Gründe, nicht alle sind ok und gerechtfertigt. Bruchteile von Cents pro Anhörung bringen auch bei gefragten Titeln nicht wirklich Butter aufs Brot für Musikschaffende. Dass Distributoren/Aggregatoren sich nicht nur einmal für den Vorgang des „richtig auf die Platform zu bringen“ sondern oft an jedem Abspielen beteiligen lassen wollen ist zB nicht ok. Auch bei den Aggregatoren gibts große Unterschiede.
Andererseits ist die Diskussion wieviel bei der Plattenfirma bleibt und wieviel zu Musiker, Komponisten und Interpreten weiter gegeben wird, so alt wie das Kratzen von Tönen in die Wachswalze. Und ob Spotify, Tidal oder Apple Music ihre Besitzer so fürstlich entlohnen müssen, sich Investoren und Pensionsfonds krank verdienen aber andererseits Musikanten nicht einmal die Medizin kaufen können wenn sie wirklich krank sind, wäre auch dringend zu hinterfragen. In der realen Wirtschaft wird ein Produkt – wenn es millionenfach verkauft wird – immer günstiger, komischerweise haben Spotify und Apple eher Hunger auf mehr als die Absicht geringere Prozente zu verlangen.
[dropcap color=““ boxed=“no“ boxed_radius=“8px“ class=““ id=““]D[/dropcap]ie Entlohnung der eigentlich Schaffenden aber ist eine Diskussion die nicht notwendigerweise mit dem Medium der Verteilung verbunden ist. Streaming zu verteufeln wegen falscher Beteiligungsschlüssel ist schlicht Unsinn. Den Schlüssel der Aufteilung zwischen Musikern und Musikmanagement, bzw. noch viel mehr die Gewinnspannen für Investoren im Verhältnis zu gerechter Entlohnung für eine Heidenarbeit ist bei Musikern genauso notwendig wie bei Autoren. Die Möglichkeiten zumindest teilweise die Vereinfachung im Marktzugang zu nutzen wird an dieser Schraube drehen helfen, Organisation einzelner Musiker in Interessensverbänden kann wenn zeitgemäß aufgestellt und genutzt ebenfalls Abhilfe bringen. Wenn Social Media getriebene Organisationsformen ganze Regierungen stürzen können wie diverse Frühlinge in Afrika und Osteuropa gezeigt haben muss es doch auch möglich sein Musiker, Komponisten und Texter zu Ihrem Recht auf adäquate Entlohnung zu bringen.
[dropcap color=““ boxed=“no“ boxed_radius=“8px“ class=““ id=““]K[/dropcap]leine Musikproduzenten müssen meiner Meinung nicht unbedingt in teure Vinylproduktion investieren für „Special Editions“. Die Haptik, Informationshunger über Künstler, Tontechniker, Background der Band, des Themas des Albums könnten auch in verschiedensten Formen an die Frau und den Mann gebracht werden, haptisch aufwändig gestaltet, oder wie Werner Pirchner es formuliert hat „naturalmente in colori“. Drinnen kann eine Downloadadresse und ein Passwort sein, das geht in der Sonne auch nicht kaputt und wird auch in 20 Jahren nicht blind. Apple – der Musikverlag und nicht die Computerfirma – hat schon vor Jahren Beatles Gesamtausgaben in Form eines Apfels verkauft, in dem USB Sticks versteckt waren.
Abschliessend also noch einmal die Bitte Aufnahmequalität, Speichermedien, Transportmedien und Entlohnungsmodelle bzw. Beteiligungsraten auseinander zu halten in der Diskussion, Musiker wie Autoren zu einem gerechten Lohn zu verhelfen und – last but not least- viele Konzerte zu besuchen, um den Unterschied zwischen Konserve und Liveerlebnis nicht aus Augen und Ohren zu verlieren.