Total recall

Nun ist sie also da , die Platte auf die ich mich soo gefreut und vor deren Erscheinen ich mich zugleich auch ein wenig gefürchtet habe.
Message from G.:  3 grandiose Abende von Friedrich Gulda im Jahr 1979 im Goldenen Musikvereinssaal. Wiederveröffentlicht auf 6 Lp’s , jede 180 Gramm schwer. Aber auch auf 4 CD’s in schöner Kassette und ebenso mit ausführlichem Büchlein dazu. Warum ich mich vor dem Erscheinen schon der ersten Auflage – damals bei MPS erschienen – gefürchet habe, steht nicht in dem Beiheft, daher hier einige Erklärungen und Erläuterungen zum Entstehen der Original Aufnahmen. Und ein wenig Hintergrundinfo zu einigen Stücken , sowie persönliche Eindrücke der neuen Klangvielfalt.

 

Direkt für den Meister, mit Technik vom Feinsten

Mein Kollege Ernst Mack und ich waren damals Roadies, Bühnentechniker und Assistenten von Friedrich Gulda und haben viele Jahre sein Equipment betreut.  Dazu gehörten Tontechnische Aufgaben zu Hause am Attersee in Weissenbach und auch auf den Bühnen die Gulda bespielt hat zwischen 1974 und 1979. Natürlich auch  Aufnahmen für seinen Privatgebrauch zu machen, sozusagen als Privatarchiv , „Making Of“- Dokumentation oder wie immer man das nennen mag. Gulda – wie bei den meisten Giganten ist bei ihm ja ein Name genug – wollte also immer mitgeschniten haben, was er so öffentlich aufführte um es dann zu Hause in Ruhe nochmal geniessen zu können, was allerdings dann überraschenderweise eher selten vorkam. Dazu wurde an feinster Technik nicht gespart, AKG steuerte die Studio-Kondensator – Mikrophone bei ( nein, nicht als Promotion , sondern durchaus voll bezahlt), Tannoy  seine 56 kg schweren damals unter HiFi-Freunden legendären „Arden“ Lautsprecher, und zum Aufnehmen natürlich Revox, A77 wenn ich mich recht erinnere.

Die zu Hause als Monitor verwendeten Tannoy Arden waren auch auf der Bühnen die PA Lautsprecher, da Gulda klanglich immer das Beste wollte, auch wenn ’nur“ einige Reminiszenzen zugespielt wurden oder die Bassblockflöte und vor allem das elektrisch modifizierte Clavichord einen großen Saal füllen mußte. Da wir zumeist seitlich von oder hinter der Bühnen saßen und mit halboffenem Kopfhörer so recht und schlecht kontrollieren konnten wie gut die Aufnahme grad lief, war der Qualitätsanspruch natürlich nie gleichzusetzen einer professionellen Aufnahme mit akustisch abgetrenntem Hörstudio, penibel eingemessenen Mikropositionen oder Hallmaschinen und anderen Möglichkeiten wie zB. spezielle Filter oder ähnliches.

Andererseits war das Ergebnis unserer Aufnahmen ein absolut direkter Mitschnitt, klanglich von Gulda himself „abgenommen“, genau so wie er in der Position des Pianisten das Klavier , das Clavichord oder Ursula Anders am Schlagzeug eben hören wollte. Der Verzicht auf übermässige Misch- und Filtermöglichkeiten hat somit auch einen gewissen „Direct to Tape“ Charme, eben grad NICHT optimiert auf die 8 Reihe im Musikverein sondern auf den Sitz vor dem Bösendorfer Imperial in all seiner Pracht und Herrlichkeit.

Die Kunst der Masterei

Trotzdem aber fuhr uns der Schreck ganz schön in die Glieder als Gulda entschied die persönlichen Archiv-Aufnahmen werden freigegeben für eine große LP Veröffentlichung. Den damals 26 jährigen Roadies mit gerade noch nicht beendetem Studium der Nachrichtentechnik war zugegebener massen denn doch etwas Angst und Bang bei dem Gedanken. ABER die großartigen Tonmeister der Klangzaubereifabrik MPS , damals State of the Art der Schallplattenstudios in Europa haben in geradezu unglaublicher Leistung die Tapes zum Leuchten gebracht dass es so seine Bewandtnis hatte. Und Christoph Stickel von den msm Studios in München hat diese Leistung anlässlich der Neuveröffentlichung noch übertroffen . Seine Ausleuchtung dessen, was die Original Tapes hergeben ist schlicht atemberaubend. Hätte die Deutsche Gramophongesellschaft diese Aufgabe übernommen wären es Halogenscheinwerfer gewesen , mit denen gnadenlos das letzte Staubkorn zum Sägezahn vergrößert wäre der die Trommelfelle perforiert. Christoph Stickel aber hat sich bei Barry Lyndon – oder besser bei Stanley Kubrik- die ganz großen Kerzenleuchter geborgt um zwar viel Licht aber auch den guten Glanz in die Verborgenheit der Aufnahme zu bringen. Der Bösendorfer darf Bösendorfer bleiben , mit Wucht – schließlich war es der ganz große mit extra tiefer Oktave – aber auch Wärme, die ihn vom Steinway und Yamaha so wohltuend unterscheidet. Daher hier noch ein paar persönliche Anmerkungen zu den besten Stücken der Aufnahmen :

Chromatische Fantasie und Fuge

Gulda beginnt am Clavichord und erinnert ein ganz klein wenig an die „Teufelsaustreibung von Viktring“, wo er vor der versammelten „Haute Volee“ von Kärnten das vertraglich zugesicherte Programm in doppelter Geschwindigkeit absolvierte und so zu einem Skandal beitrug, bei der die schön Gekleideten handgreiflich wurden, während die Langhaarigen friedlich warteten auf den ungestörten wunderbaren zweiten Teil des Konzertes ohne „Seitenblicke“ – Gesellschaft. Aber schon sehr bald weicht die Wut über Schicki und Micki und  Gulda geniesst selber sein Können und schnurrt den Bach aus dem elektrisch verstärkten Holzkisterl, dass es so seine Freude ist.

Klavichord Mechanik

Wie aus der Skizze ( Dank an Wikimedia Commons) zu sehen ist, wird beim Clavichord die Saite von einer Metallspitze am Ende der Taste zugleich angeschlagen und geteilt. Damit ist dies die Ausnahme unter den Tasteninstrumenten, da nachträglich der Ton verändert werden kann und so Vibrato bis zum Bending möglich ist. Zugleich bedeutet das aber leider auch dass der kleinste Druck zuviel die Tonhöhe verändert, zuwenig Druck zum Prellen und damit unsauberem Klang führt. Deswegen hat keiner der Pianisten die Guldas Clavichordspiel bewunderten den Mut und das Können bewiesen selber auf der Bühne diese Gratwanderung zu beschreiten.

Im zweiten Stück, der Arabisch Zigeunerischen Fantasie zeigt uns der Meister dann erst recht, wo Gott wohnt im Clavichord. Die Tasten werden gedrückt, gehalten, geschwungen , die Saiten auch händisch zur Zither bis Harfe  gewandelt. Und weils so schön ist wird auch noch gesungen dazu. Hier zeigt sich die gesamte Breite des Gulda’schen Klangkosmos und Musikerlebens.  Da das ursprünglich als Reiseklavier dienende Instrument bestenfalls sehr nahestehende Zuhörer „bespielen“ könnte, wurden zwei Gitarrenpickups zur Verstärkung eingebaut, dementsprechend rockig klingt das Instrument daher auch in größerer Verstärkung. Wiedergabe natürlich über die HiFi-PA.

Preludium und Fuge aus dem zweiten Wohltemperierten beweisen anschliessend einmal mehr , das Guldas Finger nicht von dieser Welt waren, so göttlich präzise und musikalisch feuerwerken sie dahin.

Anschliessend kommt eine sehr selten bemerkbare Seite des  Ausnahme-Interpreten Gulda zu Tage, die Vaterliebe. Auch wenn seine Söhne nicht oder nur selten bei ihm gewohnt haben, hat er sie doch innig geliebt , es gibt kaum einen schöneren Beweis als die heiter melancholischen Stücke „Für Rico“ und „Für Paul“ ( letzteres am Klavier). Vorher aber noch einmal intimes Clavichord mit dem Italienischen Konzert von Johann Sebastian und dem von Gulda eigentlich für Schmalztenor komponierten Aria, das emotional theatralisch in die Vollen greift. Hier wird fast unmerklich vom kleinen Clavichord zum großen Flügel gewechselt . Denn, wie es laut Otty M. Zykan Beethoven zugeschrieben wird : „Man kann nicht in großen Gesten wühlen, wenn nur 25 Leute spülen“. Und Gulda lässt ein großes Orchester erklingen am Ende der Aria, und auch in „Introduction and Dance“ im Anschluß daran. Hier spannt der Bösendorfer seine musikalischen Muskeln und tönt farbstark und klar in die Welt. Es ist zu hoffen der zu Hause verwendete Verstärker hat genug Reserven um diese Power von LP oder CD mühelos zu entfesseln. Denn auch auf den beiden folgenden Stücken Variations und Prelude and Fugue von Gulda „fährt “ der Bösendorfer Imperial ab wie eine Jazzbigband. Höchste Lust gepaart mit goldenem Glanz. „Siehe dazu auch die Liner Notes von Ursula Anders. Der Zuhörer geniesst und schweigt. Krönender Abschluß der berstenden Bösendorfer Bombastik ist „Light my Fire“ , mehr flammendes Inferno als Lagerfeuer hier. Muss auf einer Magico M-Serie zum Weinen schön sein. HighEnd 2017 bitte melden.

Mozart der Freund des Blues

Der Geiger Joe Venuti neben dem Klavier

Joe Venuti

Tag 2 beginnt mit meinem absoluten Lieblingsstück. Gulda erweist dem gerade verblichenen legendären Jazzgeiger Joe Venuti seine  Reverenz , eine begleitende Hand am Flügel, die Leadstimme am Clavichord. Und die fast heilige Stimmung wird unmerklich übertragen in Mozarts D-Moll Fantasie als wäre der Wolferl ein guter Freund von Joe Venuti gewesen und würde auch ein paar Takte beisteuern. Ganz großes Kino kommt hier rüber, so berührend, dass selbst die Live-Tonmeister nicht immer an ihre Aussteuerungsinstrumente denken und nachfolgende Masteringenieure alle Hände voll zu tun haben die Mißgeschicke zu verbergen.

Sorry im Nachhinein.

Fantasie in C-Moll dann nicht weniger berührend, wer diese Interpretation gehört hat kann den größten Teil der Aufnahmen des gleichen Stückes im riesigen Repertoir klassischer Aufnahmen auf LP, CD oder Streaming nur mehr schwer ertragen. Selbst berühmte Namen unter  nachfolgenden Pianisten bringen diesen Zauber nicht zu Tage.

Auch am zweiten Tag wird Nina Carina angehimmelt  ( Aria Version 2 ) , bis der alte G vom noch älteren Alter Ego Golowin Gesellschaft bekommt ( per zugespieltem Tape) und vom Gulda auf der Bühne mit Klavier und vor allem Flöte begleitet wird.

Der Albtraum der Klavierstimmer – die Flöte.

Hier noch eine kleine Anekdote zum besonders warmen Klang des Bösendorfer Flügels. Während moderne Orchester zum Teil das Stimmgebende A auf 444 bis 447 Hz angehoben haben – und damit die Klaviere im Musikverein so bereit stehen- , ist Guldas Blöckflöte am schönsten bei ca 436 Hz , dementsprechend der Wunsch des Maestros den Grande Bösendorfer extrem tief gestimmt zuzubereiten. Der Gesichtsausdruck der Klavierstimmer war in diesen Momenten der Ansage zumeist zwischen “ Sie können wählen zwischen Pest und Cholera “  und “ Leider müssen wir das Instrument nachher wegschmeissen “ einzuordnen. Dem Gott des Klanges sei es gedankt dass Gulda sich ziemlich weit durchsetzen konnte und seinen Wunsch zumeist unter 440 HZ erfüllt bekam.

Die „Klänge und Düfte “ von Debussy , „Ondine“ und auch „Die Terasse der Mondlicht- Audienzen “ war somit ein Fest des wohligen Klanges, durchaus auch mit Glanz des Mondlichtes aber eben mit menschlicher Wärme durchsetzt statt mit Überbelichtung.

Poem der Liebe

Den Abschluß des zweiten Abends gestaltete Gulda gemeinsam mit seiner damaligen Partnerin Ursula Anders am Schlagzeug. Große Gefühle natürlich auch hier im freien Spiel, gekrönt mit dem berühmten Gedicht der sonst viel zu unbekannten Karin Kiwus.

So oder so

Schön
geduldig
miteinander
langsam alt
und verrückt werden

andrerseits

allein
geht es natürlich
viel schneller

Gulda verändert hier den Text zu „langsam alt und normal werden “ , um seine Abneigung gegen das normale Leben zum Ausdruck zu bringen. Ein schöne intimer Moment, der zuerst in ein großes Finale und zum Schluß in mystische Welten führt, gleichsam als Vorschau auf Tag 3 .

Bassblöckflöte bestimmt den Beginn des Besuches vom alten G. , diesmal ist sowohl Gulda als auch Goethe gemeint, dessen westöstlicher Diwan für Gulda grad recht kommt als Ruhebasis und zugleich Beginn großen Theaters. Wo Mystik vom Schlagzeug unterstützt ist , ist auch das mit anfangs leichter Hand “ geschlagene“ Clavichord nicht weit. Nachdem kurz etwas wilder zur Sache gegangen wird, rezitiert Gulda den anderen alten G. Ich gestehe dass dieser Teil nicht zu meinen Lieblingsstücken gehört , genauso wenig wie die Fortsetzung von Teil 1 . Da ist der Beginnvon Teil 2 schon viel interessanter, in dem quasi eine Reminiszenz des Piano-Battles in Moosham bei den zweiten Tagen Freier Musik geboten wird. Dort konnte Gulda ja zeigen, dass seine  Fähigkeiten ausreichen sogar dem König des Free Jazz Piano Cecil Taylor in seinem Metier gleichrangig zu begegnen. High Speed , High Energy, Herz was willst du mehr. Minuten später ist die Zärtlichkeit des Spiels kaum zu übertreffen, quasi das Echo des vergangenen Debussy Tages, der ewig junge G als Faun der seine Elfe Ursula umgarnt mit betörendem Klavierspiel und später auch an den Flöten. Ich bevorzuge den Pianisten.

Der ungestüme Abschiedsapplaus gilt allen drei Tagen, der gesamten Bandbreite an überbordender Musikalität, legendärem pianistischen Können und grenzenloser Hingabe. Vielen Dank an Edel und das Team um Sven Schuhmann die diese 3 Tage nochmals in großartiger Form zuänglich gemacht haben.

Um 40.- Euro ist die CD Version schon fast ein Geschenk , dafür darfs bei der 180 Gramm Vinyl Ausgabe für Freunde der LPs schon an die 150.- sein. Nicht nur für Audiophile ein Sammlerstück.